Ein Fotomodell auf Reisen
Auf eigener Achse, die Reise nach Sizilien
In den 1950er Jahren brachten viele Automobilhersteller Kleinstwagen auf den Markt, um das Bedürfnis nach wetterunabhängiger Mobilität zu befriedigen. Die
Bayerischen Motorenwerke bauten in Lizenz der italienischen Firma Iso Rivolta die legendäre Isetta, ein Kleinstauto mit zwei Sitzplätzen und 250 oder 300 ccm, auch Knutschkugel genannt.
Markenzeichen der Isetta ist die nach vorne aufschwingende Fahrertür und das Faltdach. Von 1957 bis 1959 erweiterte BMW die Produktpalette um eine modifizierte Isetta, die nun für vier Personen
Platz bot, eine Seitentür und ein vollsynchronisiertes Getriebe hatte unter der Bezeichnung BMW 600. Das Fahrzeug setzte sich wegen des relativ hohen Preises und des Konkurrenzdrucks nicht am
Markt durch. Die Produktion stellte man ein. Heute sind noch 113 Fahrzeuge des Typs innerhalb Deutschland für den Straßenverkehr zugelassen.
Eine BMW 600 sollte es für uns sein! Warum? Wir brauchen für die Campingausrüstung mehr Platz, als ihn eine Isetta bietet! Wir, das sind mein Ehemann Gerd und ich,
Reingard, die Autorin. Gerd hatte bereits die Online-Angebote in den entsprechenden Portalen durchforstet. Hilft nichts, er brauchte Unterstützung, Entscheidungshilfe bei der Auswahl. Er
entschloss sich für die Mitgliedschaft im Isetta-Club und beobachtete einige Monate lang interessiert die Offerten des Oldtimer-Marktes. Im Winter 2015/16 erschien die entscheidende Annonce. Ein
Fahrzeugmuseum im Bayrischen Wald trennte sich von einem Exponat, um seine Ausstellung neu zu gestalten. Für kleines Geld ist ein Fahrzeug in der angebotenen Qualität natürlich nicht zu haben, da
ist Beratung sehr wertvoll. Der Typreferent des Clubs für die BMW 600 stand meinem Mann mit Rat und Tat zur Seite. So also kam der Kaufvertrag mit dem Deggendorfer Museum zustande. Bisher waren
es die zweirädrigen Oldtimer, wie die NSU Quickly und Lambretta, die unsere Herzen erwärmten. Nun hatten wir uns für einen Veteranen auf vier Rädern entschieden!
Soll sich der BMW 600, unser Oldie doch mal selber vorstellen: »Ich wurde 1958 gebaut. Seit 58 Jahren bin ich auf den Straßen im Norden und Süden unterwegs. Mein
erster Besitzer lebte in Bielefeld. In den letzten drei Jahren bewunderten mich die Besucher im Fahrzeug- und Kunstmuseum Streicher im Lallinger Winkel bei Deggendorf. Mein neuer Eigentümer Gerd
verliebte sich sofort in mich und veranlasste, dass ich per Tieflader nach Seevetal bei Hamburg reisen durfte. Tolle Pläne hatte er mit mir, ja, ich bin ein wenig eitel, sie gefielen mir. Nach
Sizilien soll die Tour gehen. Er meinte, ich müsse noch ein bisschen darauf vorbereitet werden. Deshalb fuhren wir zusammen ins Sauerland. Dort machte mich der Typreferent
langstreckentauglich.«
Die Frage nach dem ›wohin‹ ist geklärt. Nun kurz zum ›warum‹. Italien ist das Traumziel deutscher Urlauber schlechthin, das gilt auch für uns. Im Jahr 2006
unternahmen Gerd und ich auf den kleinen NSU-Mopeds, den Quicklys, eine Ausfahrt von Seevetal bei Hamburg bis nach Rom. Es war eine unglaubliche Zitterpartie und ›oh Wunder‹, wir erreichten die
Stadt unserer Träume. Dieses ›Abenteuer Quickly‹ erweiterten wir fünf Jahre später um das Ziel Oslo. Doch zurück nach Italien, das Land reicht bekanntermaßen bis nach Sizilien und warum nicht,
die Insel ist allemal eine Reise wert. Der Oldie hat’s ja schon ausgeplaudert. Schafft er das? Schaffen wir das? Na ja, wir sind risikobereit und probieren es auf jeden Fall, alle
drei.
Ich werde sicherlich nicht als Fahrerin fungieren. Vielleicht später mal, wenn Gerd sich mit den Besonderheiten des Autos vertraut gemacht hat. Einen
Fünf-Liter-Reservekanister für Benzin deponierten wir hinter der Sitzbank, zusammen mit einer Flasche Motorenöl. Jeweils nach 1.000 gefahrenen Kilometern fand die Prüfung des Ölstandes statt. Auf
der Fahrerseite steckte ein Navigationsgerät in der Seitentasche und ich verwaltete das Kartenmaterial für Deutschland, Österreich und Italien. Eine Thermosflasche mit kühlem Wasser unter der
Sitzbank sorgte für das menschliche Wohlbefinden.
Der Oldie berichtet weiter: »Am 23. Juli 2016 starteten wir beim Tachostand von 69.758 Kilometern. Zunächst mussten noch ein paar Vorstellungsbesuche bei der
Verwandtschaft in Norddeutschland gemacht werden. Ich bin es inzwischen gewohnt, dass man in meinem Innenraum Platz nimmt und an den Instrumenten herumfummelt. Fotos, immer wieder Fotos, ach,
aber die Bewunderung geht doch runter wie Öl. Ich bin nun mal ein ausgesprochen bildhübsches Auto aus dem Hause BMW und die vielen Jahre machen mich wertvoll. Wer kann das schon von sich
behaupten. Wenn ich durch die Straßen fahre, sehe ich überall in freundliche Gesichter. Die Leute winken oder halten den Daumen hoch. Reingard und Gerd bedanken sich dann an meiner statt. Es ist
ein Spaß, so unterwegs zu sein. Alle schwelgen in Erinnerungen.«
Während der Fahrt trat Gerd des Öfteren gleichzeitig aufs Gas- und aufs Bremspedal, die sehr dicht beieinanderliegen. Das hört sich jedes Mal sehr ungesund an. Am
Anfang brauchte er zum Autofahren ein paar Schuhe, die schmal geschnitten sind, um solche Patzer zu vermeiden. Letztendlich ist alles Gewohnheit und wurde so zur Routine. Wir hatten entschieden,
dass wir die Autobahnen meiden wollten und dass die Tagesetappen möglichst nicht länger als 250 bis 300 Kilometer sein sollten. Soweit die Theorie, wir werden unsere eigenen Absichten
umstoßen
Unser Oldie meldet sich mal wieder zu Wort: »Kreuz und quer ging es durch Deutschland. Von Niedersachsen nach Nordrhein-Westfalen und weiter in die Rhön, wer die
Steigungen dort schafft, der schafft auch die Alpen. Auf dem Campingplatz ›Rhönperle‹ erzählten andere Gäste von einem privaten Oldtimersammler in der Nähe. Dorthin führte uns selbstverständlich
der Weg. Ein Isetta-Kollege stand auf der Empore, neben einem ›Fuldamobil‹, einem Auto mit einer eigenwilligen Karosserie. Mal ehrlich, wenn ich mich selber betrachte, alltäglich ist mein Äußeres
ja auch nicht grade. Die Fahrertür öffnet sich nach vorne, man merkt sehr deutlich, dass mein Erfinder aus Italien früher Kühlschränke hergestellt hatte. Unzählige Fabrikate aus dem In- und
Ausland, aus Übersee, noch viel älter als ich, vervollständigten die Ausstellung. Die Veste Coburg, der Oberpfälzer Wald und die Stadt Cham lagen an der Strecke. Deggendorf am Bayrischen Wald,
meine alte Heimat, das Museum sollte das Etappenziel sein. Gerd hatte leider verpennt, sich über die Öffnungszeiten zu informieren, und so standen wir allesamt vor verschlossenen Toren.
Sommerferien! Na toll! Ich hätte den beiden liebend gerne meine alte Wirkungsstätte in Deggendorf gezeigt. Reingard und Gerd ließen es sich trotzdem gut gehen, und genossen die bayrische
Lebensart. Im Biergarten servierte man ihnen eine landestypische Brotzeit.
Das geschlossene Museum war die erste Pleite des Tages, die zweite, wir verfranzten uns total im Gewirr von Umleitungen. In der Region von Donau und Inn scheint es
sehr viel Reparaturbedarf bei den Dorfstraßen zu geben. Offenbar werkelten mehrere Gemeinden gleichzeitig an ihren Straßen herum, wir jedenfalls gerieten so von einer Umleitung zur nächsten. Wie
die Umleitungsstrecken aussehen sollten, blieb das Geheimnis der Bauherren. Kennt sich eh jeder aus, oder? Das Navi zeigte an, der kürzeste Weg führe durch Österreich. Das war eine Superstrecke!
Wir machten gute Fahrt, einzige Unannehmlichkeit, in Salzburg gerieten wir in einen ausgewachsenen Feierabendstau. Die katastrophale Ausschilderung der Ausweichstrecken war übrigens ein
deutschlandweites Problem. Mehrmals täglich waren wir dazu gezwungen, Umwege zu machen. Ich hörte, wie Gerd sich darüber beklagte. Und dann das Wetter! Nee! Mein Fahrer hatte es versäumt, meine
Wetterfestigkeit zu überprüfen. Das rächte sich nun. Bei längeren Regenperioden drang Nässe durch die porösen Dichtungen. Dabei hatte Gerd doch vom Typreferenten den Tipp bekommen, das zu checken
und außerdem festzustellen, wo genau das Wasser eindringen kann. So hatte Reingard bei Regen stets einen Lappen zur Hand und wischte an- und ausdauernd die Türdichtung und meine beschlagenen
Scheiben trocken.«
Im Berchtesgadener Land besuchten wir eine Freundin. Zusammen erkundeten wir die Welt der Berge. Die Jenner-Seilbahn erleichterte uns enorm den Aufstieg zum Gipfel
in 1874 m Höhe. Nebelschwaden verhinderten zwar den Blick auf den Königssee, tauchten aber die Landschaft in eine wunderbar mystische Stimmung. Die Phase der kurzen Trockenzeiten war vorbei, der
Wetterbericht versprach keine Besserung. Deshalb traten wir die Flucht in Richtung Süden an. Ja, das Regenwetter, unser Begleiter, die ständige Nässe war eine Pest und ging uns zunehmend auf die
Nerven. Zumal wir mit minimalem Gepäck reisten und nur ein Zweipersonenzelt mit uns führten. Eigentlich gab es für uns nirgendwo einen gemütlichen Aufenthaltsort außerhalb des kuscheligen
Schlafsacks.
Wir wussten noch nicht, wie viel Steigungs- und Gefällestrecken wir unserer historischen ›Knutschkugel‹ zumuten konnten. Mit den schwach motorisierten NSU-Quicklys
hatten wir seinerzeit gute Erfahrungen bei der Überquerung des Reschenpasses gemacht. Diese Route nach Italien sollte es wieder sein. Ganz nebenbei bemerkt, wir waren mächtig stolz darauf, es
ohne großartige Probleme bis in die Alpen geschafft zu haben. Anfangs strengten Gerd die Tagesetappen noch ziemlich an, er ist schließlich der alleinige Fahrer. All das, was die modernen
Fahrzeuge so bequem macht, das hat unser Oldie nicht. Und ein paar Macken, der zweite Gang beispielsweise, der lässt sich nicht problemlos einlegen. Manchmal knirscht es eben im Getriebe. Und
dann gibt es sie doch noch, die Sonne. In Österreich schien sie gnadenlos vom Himmel und verwandelte das Auto in eine Sauna auf vier Rädern. Wir folgten im Wesentlichen den Landstraßen im Inntal,
durchquerten Innsbruck und setzten die Fahrt nach Landeck und bis zum Reschenpass fort. Das war der erste Teil der Reise, warten wir mal Italien ab.
Oldie protestiert vernehmlich: »Das ist wohl wieder typisch, regen sich die beiden über ihre Anstrengungen auf. Und was bitteschön ist mit mir? Strengt es mich etwa
nicht an? Die vielen Serpentinen rauf und runter, die engen Kurven, die schlechten Wegstrecken, die Kühe auf der Straße, denen ich ausweichen musste. Die Regen-, Gewitter-, Sturm- und
Nachtfahrten, alles, alles habe ich bisher klaglos über mich ergehen lassen. Auch, dass Gerd die Gänge reinprügelt, dass mir die Eingeweide krachen. Schon mal was von vorausschauendem Fahren
gehört? Wenn ich am Berg langsamer werde, dann schaltet man zurück, das Gleiche gilt für die Bergabfahrt. Er fuhrwerkte da im Getriebe rum, dass mir hören und sehen verging. Schaltfaul ist er und
wenig sensibel, ich merkte deutlich, dass er sonst Automatik fährt. Das musste mal gesagt werden.«
Ja, der Oldie hat recht, es ist an der Zeit für eine kleine Zwischenbilanz. Gerd und ich sind mit dem Verlauf der Reise bis hinein in die Alpenregion außerordentlich
zufrieden. Wir hatten aber reichlich Grund dazu, uns über das Navi aufzuregen. Das lockte uns nämlich ab und zu auf die falsche Fährte. Das Autokartenmaterial war auch nicht optimal. Der Maßstab
1:500.000 oder 1:300.000 ist nicht bedarfsgerecht, wenn hauptsächlich Landstraßen gefahren werden sollen. Kleinteiligere Straßenkarten sind für unsere Zwecke optimal. Also für die Zukunft gilt,
möglichst den Maßstab 1:150.000 nehmen, auch wenn es bedeutet, mehr Papier mitzunehmen. Trotz Navigationsgerät, auf Landkarten kann nicht verzichtet werden, beispielsweise wenn die Etappe geplant
wird oder wenn’s Navi spinnt.
Italien erreicht zu haben, war schon die halbe Miete. Wir waren deshalb schon wesentlich lockerer geworden. Unsere BMW 600, unser Oldie machte einen ausgezeichneten
Job! Am Reschenpass suchten wir einen Campingplatz. Für eine Nacht wollte der Betreiber satte 46 Euro haben. Nein, geht gar nicht, das ist viel zu teuer. Na ja, der nächste Platz kostete ›nur‹
schlappe 43 Euro, den nahmen wir dann. Das sollte für uns nur ein kleiner Vorgeschmack sein, denn bei Venedig zahlten wir später 60 €. Ansonsten stimmte
alles, der Platz ließ keine Wünsche offen. Gerd entfernte Gummimatte und Teppich aus dem Auto, denn mit den Füssen patschten wir in der Nässe. Unser Oldie ist bekanntermaßen etwas inkontinent.
Die klatschnasse Ausrüstung konnte durchtrocknen, bevor wir mutig die Bergwelt der italienischen Alpen erkundeten. Auf der Karte suchten wir die grün markierten Straßen, denn die Kennzeichnung
steht für ›landschaftlich sehr schön‹. Südlich von Bozen ging es gehörig zur Sache. Das Quietschen der Bremsen und das leichte Müffeln nach Gummi machten deutlich, dass das Gelände ausgesprochen
steil ist und eine Pause dringend geboten war.
Wir befanden uns in der atemberaubend schönen Region ›Dolomiti di Brenta‹. Am liebsten hätten wir dort oben im Ort Madonna di Campiglio einen Campingplatz genommen,
wenn wir ihn denn nur gefunden hätten. Statt dessen lockte uns das unterbelichtete Navi auf ein Wiesenstück. Kann echt nicht angehen. Wir waren wegen der wiederholten Fehlleistung angefressen und
würden es am liebsten in der Tonne versenken.
Eine bezaubernde Aussicht bot sich uns, als wir den Gardasee ins Blickfeld bekamen. In Riva di Garda wollte der Campingplatzbetreiber, dass Oldie auf einem Parkplatz
am Eingang stehen sollte. Nee, kommt überhaupt nicht in Frage, darauf ließ Gerd sich nicht in. Der ganze Platz war sowieso nicht besonders. Am nächsten Morgen waren wir grade noch in der Lage
dazu, das Zelt trocken abzubauen, und schon fegte ein Gewittersturm über Land und See. Kann ja nicht allzu lange dauern, so ein Gewitter. Irrtum; es regnete den ganzen Tag. An diesem
Sonntagmorgen verließen ganz offensichtlich viele Wochenendgäste den Ort und so standen wir alle zusammen stadtauswärts im Stau. Mit den bekannten Folgen, wischen, wischen, und nochmals wischen.
Der Regen tropfte von der oberen Türdichtung auf die Füße und wo sonst noch Regenwasser eindrang, entzog sich unserer Kenntnis.
La bella Venezia, die Traumstadt in der Lagune wird ›La Serenissima‹ genannt. Dieser Stadt wollten wir uns von der Wasserseite her nähern. Vom Hafen Punta Sabbioni
aus, auf der Spitze der Landzunge, die Lagune und Adria trennt, fuhren wir mit dem Schiff zur Piazza San Marco. Im total überfüllten Venedig hatten wir tatsächlich eine kleine Zeitspanne ganz
exklusiv für uns. Ein leichter Schauer ermöglichte, dass wir ganz alleine auf der Rialtobrücke standen, der Canale Grande vor uns in sanftes Licht getaucht. Ein seltener Augenblick, und nur kurze
Zeit später umringten uns wieder die üblichen Menschenmassen.
Unsere Enkel haben im Hochsommer Geburtstag. Das hat zur Folge, dass entweder die Geburtstagskinder, die Gäste oder sämtliche Beteiligten in den Ferien sind. Dieses
Jahr würde es anders verlaufen. Die junge Familie urlaubte ahnungslos auf der kroatischen Insel Krk, während Oma und Opa von Venedig her anrückten. Der BMW 600 übte sich nun im Inselhüpfen. Von
Istrien aus ging es per Fähre zuerst auf die Insel Cres, es folgte eine längere Autofahrt über die Insel bis zum nächsten Fährhafen zur Insel Krk. Einen fröhlichen Kindergeburtstag später setzten
wir die Reise fort. Für die Rückkehr nach Italien hatten wir an die Fähre von Zadar nach Ancona an der italienischen Adria gedacht. An der kroatischen Küste braute sich der Fallwind Bora
zusammen, die Festlandbrücke war bereits für Gespanne gesperrt worden, PKWs ließ man noch die Brücke passieren. Gerd hatte schon arge Schwierigkeiten, das Auto in der Spur zu halten. Den
Sturmböen war der Oldie nicht gewachsen. In höchster Konzentration auf der Küstenstraße die 250 Kilometer zurückzulegen war für den Fahrer eine Herkulesaufgabe. Wir kehrten um und nahmen die
Inlandroute über Slowenien und Triest zurück nach Venedig.
Ravenna, die alte Residenz weströmischer Kaiser, die Stadt der byzantinischen Mosaike war unser nächstes Ziel. Eine faszinierende Stadt mit den eindrucksvollen
Grabmälern der Herrscherin Galla Placidia, des Ostgotenkönigs Theoderich und des Dichters Dante Alighieri. Zehn Jahre zuvor, auf der Tour mit den NSU-Quicklys nach Rom, hatten uns die Stätten des
Weltkulturerbes schon mächtig in den Bann gezogen. Trotzdem vereinbarten Gerd und ich, dass wir auf dieser Reise nicht mehr die Orte besuchen wollten, die wir bereits kannten, auch Rom
nicht.
Der Oldie meldet sich zu Wort: »Die Italiener sind ganz verrückt nach mir! Ich werde unendlich viel fotografiert und die Leute umlagern mich, sobald ich zum Stehen
komme. Das streichelt mein Ego. Einige Bewunderer suchten vergeblich auf der Fahrerseite nach einer Tür. Und dann die überraschten Gesichter und das Lachen, wenn meine Fahrertür nach vorne
aufschwingt. Das amüsiert mich immer wieder.«
Ja stimmt, Gerd und ich konnten auf den Campingplätzen manchmal kaum das Zelt aufbauen, so viel Aufsehen erregten wir mit unserem Oldie. Wir erteilten die Auskünfte
bereits flüssig in Italienisch, denn die Fragen waren im Wesentlichen die Gleichen. In Riva di Garda erlebten wir, wie ein junger Mann, bewaffnet mit dem Selfie Stick sich vor das fahrende Auto
hechtete. Auf seinem Foto dürften Gerd und ich mit entsetzten Gesichtsausdruck zu sehen sein, denn Gerd musste heftig in die Eisen steigen. Complimente, che bella macchina, bella, bellissima
bekamen wir oft zu hören. Nicht nur unserem Oldie gefiel das. Wer hat das Auto gebaut? Ah, ein ›Bi Emme Wuh‹, ein BMW! Die Italiener sind ausgesprochen autoaffin und von großem Sachverstand. Das
merkten wir immer wieder. Der Oldie wurde innen und außen fotografiert, die Bewunderer nahmen darin Platz und lichteten sich gegenseitig ab. Gerd öffnete auch die Motorhaube auf der Rückseite, da
kamen dann die Erkundigungen zum Getriebe, zur maximalen Geschwindigkeit und vieles mehr. Mit einem blinden Camper zusammen untersuchte Gerd mit den Händen den Motorraum und die Karosserie. Die
Familie bedankte sich bei uns mit einer Flasche sizilianischem Wein.
Auf den Campingplätzen deckten wir das Auto mit einer Hülle zu. Zum einen, weil es so vor Regen und Hagel geschützt wurde, das war ja nördlich der Alpen nötig. Zum
anderen hatte die Plane den Zweck, uns ein wenig Ruhe vor den vielen Fragen zu gönnen. Weiter ging’s nach Süden.
Die nächste Etappe führte uns nach Perugia und Terni in Umbrien. Cascata delle Marmore, so heißt der Wasserfall mit der Fallhöhe von 165 Metern. Hier in der Nähe der
malerischen Urlaubsregion wütete keine zwei Wochen später ein Erdbeben von großer Zerstörungskraft, das großes Leid über die Bewohner brachte.
Neapel, die Millionenstadt am Fuße des Vesuvs stand auf dem Plan. Die Altstadt, das verschüttete Pompeji und der Vulkan interessierten uns außerordentlich und dafür
nahmen wir uns viel Zeit. Zum Vesuv hinauf fuhren wir mit dem Bus, den verbleibenden Weg zum Krater gingen wir zu Fuß. Oben führte uns ein Vulkanexperte. Die Neapolitaner sind ja ein bisschen
fatalistisch. Die Millionenregion liegt unterhalb eines Vulkans, der seit rund fünfzig Jahren ständig Druck aufbaut. Evakuierungspläne gibt es aber nur für ein Viertel der Einwohner. »Was
passiert mit den restlichen Leuten«, fragten wir ihn. »Das hängt von den Gegebenheiten ab«, sagte er uns. Alles klar, hier kaufe ich kein Grundstück! Der Campingplatz in Pozzuoli nahe Neapel
begeisterte uns. Innerhalb des Vulkankraters Solfatara befinden sich Felder mit vulkanischer Aktivität, gleich 100 Meter daneben der Campingplatz. Von wegen, ehemaliger Feuerberg, wir erlebten
dort einen beachtenswert betriebsamen Tag. Es roch nach faulen Eiern und aus etlichen Erdlöchern entwich der heiße Dampf, es blubberte und pfiff. Der Koch des Restaurants garte, in Alupäckchen
sorgsam verschnürt, den Fisch in den thermischen Feldern. Die Temperatur betrage 160 bis 200 Grad, sagte er uns.
Immer weiter südlich ging es, nach Kalabrien. An der Küste des Tyrrhenischen Meeres suchten wir in dem Städtchen Diamante Quartier. Bereits seit Venedig benutzen wir
die Autobahnen, das widersprach unseren eigenen Vorgaben. Wir hatten die Erfahrung gemacht, dass man dort sehr viel bequemer unterwegs ist, besonders wir mit dem alten Schätzchen. Hier im Süden
war allerdings auch dieser Straßentyp mitunter ganz schön holperig. Unendlich viele Tunnel und Talbrücken bahnen den Weg durch die Gebirgsregionen, oftmals mehrere Röhren hintereinander. Das gilt
für das ganze Apenninengebiet und die Alpen.
Die Insel Sizilien war nicht fern. Nur noch die Meerenge, die Straße von Messina musste überquert werden und schon waren wir am Ziel unserer Reise. Die Anreise zur
Fähre gestaltete sich etwas desorganisiert. Das war aber nichts im Vergleich zu dem Chaos eine Woche später, welches wir bei der Rückfahrt von Palermo aus erlebten.
Nun feierte auch ich während dieser Tour den eigenen Geburtstag. Den verbrachten Gerd und ich auf dem Ätna, der immer wieder, so wie jetzt auch, ganz schön aktiv
ist. Wir konnten uns einfach nicht sattsehen. Von weitem sieht der 3.323 m hohe Berg schön grün aus. An den Hauptkrater lässt man die Besucher nicht heran. Hier oben dominiert die
schwarz-graue-rotbraune Lava. Ein paar Flechten und kleinere Büsche haben sich an einigen Hängen angesiedelt, ansonsten herrscht eine fantastische Einöde. Unser Oldie musste bis in die Höhe von
2.000 Metern klettern, um den Parkplatz zu erreichen. Weiter ging es für uns per Seilbahn und mit dem Geländebus. Wir ließen uns viel Zeit, um uns mit der ungewohnten Höhe vertraut zu machen. Wie
schon auf dem Vesuv führte uns ein Vulkanexperte. Er sagte, dass der Vulkan niemals an der gleichen Stelle wieder ausbrechen würde. Wie beruhigend! Und dort wo wir uns grade befänden, hätte es
vor zwei Monaten Aktivität gegeben. Zum Beweis ließ er uns einige Zentimeter im Untergrund graben und schon spürten wir die Hitze. Auf eigene Faust unternahmen Gerd und ich später weitere
Erkundungsgänge, konnten nicht genug kriegen. Irgendwann muss man dann aber wieder zurück.
Ein anderer Gast hatte uns von Agrigent vorgeschwärmt. Und zwar von den griechischen Tempeln auf dem Höhenzug vor der Stadt. Auf dem Weg zum Campingplatz an der
Küste sah man auf der Höhe die Ruinen zweier Tempel. Die Abendsonne tauchte sie in rotgoldenes Licht. Es war fantastisch. Valle dei Templi, so wird der Tempelbezirk genannt. In einem Tal liegt
der aber nicht. Unendlich viele Trümmer stehen dort. Teilweise hatte man schon im 19. Jahrhundert einige Säulen wieder aufgerichtet. Es ist ein sehr großes Areal mit Gräbern und Tempeln die
verschiedenen Gottheiten gewidmet waren und natürlich sind die archäologischen Stätten Weltkulturerbe.
Wir hatten Sizilien erreicht und nun war bei uns ein wenig die Luft raus. Die Hitze machte uns zu schaffen und außerdem wollten wir dem Oldie nicht weiter tausend
Kilometer holperige Straßen zumuten. Zum Glück ließ Gerd vor der Reise die Hardyscheiben gegen eine homokinetische, kardanische Verbindung austauschen. Die Scheiben sind sehr schlagempfindlich
und wären uns spätestens hier in Italien um die Ohren geflogen.
Von Palermo aus sollte es per Fähre nach Genua im Norden Italiens gehen. Wie wir heute wissen, war das eine weise Entscheidung. Es hätte uns genauso passieren
können, dass wir mit dem ADAC-Sammeltransport nach Hause zurückgekehrt wären. Die Reparaturwerkstatt in Hamburg hielt es für ein Wunder, dass uns die Rückfahrt ohne Probleme gelungen war, denn u.
a. hätten die Stoßdämpfer sehr stark gelitten. Doch weiter im Reisebericht.
Wie die ganze Insel hat auch Palermo eine reiche und bewegte Vergangenheit. Dazu gehört auch der Kampf der Stadt, des Bürgermeisters gegen die Mafia, der
offensichtlich oder hoffentlich erfolgreich war. Wir hatten zwei Tage Zeit uns die Hauptstadt Siziliens anzusehen, bevor wir per Fähre weiterfuhren. So ein Chaos wie am Fährterminal haben Gerd
und ich noch nirgendwo erlebt. Und wir haben schon oft die Autofähren Europas benutzt. Drei Stunden steckten wir in einem Stau fest, vor den verschiedenen Terminals nach Neapel, Civitavecchia und
Genua. Alle Schiffe verließen Palermo in den Abendstunden. Wir konnten nur beten, dass wir im richtigen Stau saßen, denn Hinweisschilder von wo unser Schiff abfährt, waren Fehlanzeige. Um 21 Uhr,
der Abfahrtzeit unserer Fähre waren wir immer noch nicht an Bord und sehr viele andere Passagiere auch nicht. Gegen 23 Uhr endlich fuhr die Fähre aus dem Hafen von Palermo, mit uns an
Bord.
Ja, und so machten wir uns auf den Rückweg. Der BMW 600 hat uns alle zusammen wohlbehalten wieder nach Hause befördert. Na ja, das mit dem ›wohlbehalten‹ trifft nur
bedingt zu. Wir verließen grade den Campingplatz in Mascali auf Sizilien, das Missgeschick nahm seinen Lauf. Gerd hat dem Schätzchen ein Leid zugefügt. Ein Baum stand unnützerweise im Weg herum,
als er den Rückwärtsgang betätigte. Autsch! Die hintere Stoßstange suchte und fand innigen Kontakt mit dem Blech. Den schlanken Stamm hatte Gerd beim Rückwärtsausparken übersehen. Andere Gäste
halfen beim Zurückbiegen der Stoßstange, aber die Schmarre im Blech war unübersehbar! Die Motorhaube konnte nur mit Mühe geöffnet werden. Gerds Laune war am Nullpunkt, er selbst am Boden
zerstört. Das gute Stück wurde in einer Hamburger Reparaturwerkstatt inzwischen instand gesetzt.
Dass ein Kanister mit Reservebenzin hinter der Sitzbank stand, hatte sich bewährt. Etliche Male musste darauf zurückgegriffen werden. An Sonn- und Feiertagen sind in
Italien die Tankstellen geschlossen, der Kassenvorgang läuft über einen Automaten. Jedoch, der akzeptiert nicht immer EC-Cash oder Kreditkarten und beim Bargeld wird der Restbetrag nicht
herausgegeben. Das Problem sind die Geldscheine, die viel größer sind, als die Tankrechnung ausmacht. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass einige Tankstellen kein Superbenzin ohne Zusatz
führen. Wir wollen für den Oldtimer den E10 Kraftstoff mit Bioethanol nicht tanken. Etliche Male verließen wir deshalb die Tankstelle ohne Tankvorgang und der Weg zur nächsten Zapfsäule war
manchmal zu lang.
Die Heimreise führte uns nach Mailand, durch die Schweiz hindurch, über München immer weiter nach Norden. Knapp fünf Wochen nach dem Start kamen wir zu Hause in
Seevetal an. Tacho: 76.278 Kilometer; der BMW 600 legte insgesamt 6.520 Kilometer auf eigener Achse zurück. Danke, danke lieber zuverlässiger Oldie!
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