Kurz und schmerzvoll – so könnten unsere missglückten Reisepläne umschrieben werden. Wobei sich der Schmerz nicht nur auf Körperteile bezieht, denn dieses Scheitern ist hauptsächlich ein Problem fürs Ego. Hatten wir den Mund zu voll genommen? In dem Gerd und ich verkündeten, wir probieren es, die Donau in fast der gesamten Länge zu paddeln? Ein ambitioniertes Ziel, diese 2.500 km-Strecke!
Doch nun alles auf Anfang. Ein eigenes Paddelboot hatten wir schon lange im Visier. Unsere Geburtsjahre verraten, dass wir Reisepläne per Boot nicht allzulange vor uns herschieben sollten.
Zunächst dachten wir an den Erwerb eines Gebrauchtbootes, die Pläne zerschlugen sich an den überzogenen unrealistischen Preisvorstellungen eines Verkäufers. Für das Geld konnten wir ein
nagelneues Boot erwerben, allerdings ohne Zubehör. Im Winter schafften wir das Klepper-Zweierfaltboot Aerius Quattro an. Wir warteten ungeduldig auf den Frühling, um das Paddelboot zu testen, und
wurden wetterbedingt auf eine harte Geduldsprobe gestellt.
Zeitgleich erfolgte die Anmeldung zur »TID« (Tour International Danubien). Die Donau-Wasserwanderer-Tour startet jährlich in Ingolstadt und endet im rumänischen Sfantu Gheorghe am Schwarzen Meer.
Man kann auch durchaus nur Teilstrecken mitpaddeln, wir aber wollten die gesamte Strecke machen.
Trainingseinheiten waren nun das Gebot der Stunde. Damit wir nicht ständig das Faltboot auf- und abbauen mussten, mieteten wir uns einen Liegeplatz in einem Bootshaus am Hamburger Osterbekkanal.
Wir brauchten nur das Boot auf den Transportwagen zu hieven, zu Wasser zu lassen und los zu paddeln. Auf diese Weise erkundeten wir Hamburg von der Wasserseite aus. Wunderschön! Man bekommt eine
völlig neue Sicht auf die Stadt.
Der nachstehende Bericht informierte unser Umfeld über unser Vorhaben auf dem Wasser:
»Servus, mit dieser Grußformel aus den Gebieten südlich des Mains verabschiedeten wir uns von Freunden und Familie. Bedeutet doch Servus auch ›zu Diensten‹; denn im Dienste der
Völkerverständigung wollen wir in den nächsten Wochen unterwegs sein. Der zweitlängste europäische Fluss, die Donau ist unser Ziel. Der in südöstliche Richtung fließende Strom verbindet und
trennt Völker und Kulturen gleichermaßen, ist sowohl Grenze als auch Handelsstraße. Seine geologischen Besonderheiten sind beeindruckend. So verschwindet der junge Fluss im karstigen Untergrund
der Schwäbischen Alb. Strudel, Stromschnellen, Gebirgsdurchbrüche und Untiefen, verursacht durch den Sedimentseintrag der Nebenflüsse, erschwerte seit der Antike die Nutzung als Wasserstraße. Den
Römern dämmerte es langsam, dass das gewaltige Delta im Schwarzen Meer und die beiden munteren Gebirgsquellflüsschen im Schwarzwald miteinander in Verbindung stehen. Die Donau, das Band zwischen
Orient und Okzident. Trotzdem konnte der Strom in den Köpfen der Menschen nicht die gleiche Bedeutung erringen, wie der nach Norden fließende »Vater Rhein«. Heute sind die Wassermassen der Donau
durchweg gebändigt, Wehre, Schleusen und Sprengungen von Hindernissen haben dem Strom sein heutiges Gesicht gegeben. Trotzdem, der Fluss ist nicht zu unterschätzen.
Und da wären wir bei den »Anrainern«. Während unserer Ostseeumrundung im Jahr 2015 hatten wir es mit Anrainerstaaten zu tun und nun wieder. Zehn Staaten haben ihren Anteil am Flusslauf der Donau.
Zwischen einigen von ihnen bildet sie die Staatsgrenze und einige der Hauptstädte liegen am Fluss, wie Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad.
Seit 1956 veranstalten die internationalen Kanuverbände der Anrainer jährlich auf der Donau eine »Wanderfahrt mit Gepäck«. Die »Tour International Danubien (TID)« dient dem gegenseitigen
Kennenlernen von Menschen und Kulturen mit ihren politischen, weltanschaulichen, religiösen oder sonstigen Unterschieden. Freundschaften unter den Wassersportlern sollen geknüpft werden.
Völkerverständigung soll keine leere Formel sein, denn besonders aktuell ist die Überwindung von Ressentiments sehr wichtig. Die kriegerischen Auseinandersetzungen am Ende des letzten
Jahrhunderts haben allseits tiefe Wunden hinterlassen.
In diesem Jahr wird die 62. TID veranstaltet und wir paddeln mit. Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Welt und jeder von uns muss sich den Herausforderungen von Fluss und Wetter stellen. Die
Gesamtstrecke über 2.500 Kilometern geht von Ingolstadt aus bis nach Sfantu Gheorghe am Schwarzen Meer.
Sehr viele Reisende vor uns sind auf dem Fluss geschippert und haben darüber hinaus noch schriftliche Aufzeichnungen veröffentlicht. Zwei Autoren aus dem 20. Jahrhundert habe ich mir
herausgesucht. Otto Protzen, ein Sportsmann in besten Mannesjahren, Künstler und Autor paddelte vor genau einhundert Jahren, im Sommer des Jahres 1917 als Kriegsberichterstatter flussabwärts.
»Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer; Eine Kriegs-Fahrt im Kayak Donauabwärts« lautet der Buchtitel. Einundzwanzig Jahre später begab sich 1938 ein Zwanzigjähriger auf die gleiche Strecke. Auch er
Künstler und Autor mit sehr poetischer Sprache. Wie sonst sollte Lothar-Günther Buchheim auf den Titel »Tage und Nächte steigen aus dem Strom« kommen. So richtig berühmt wurde der junge Mann
später mit seinem verfilmten Roman »Das Boot«. Und nun sind wir nur noch gespannt auf die eigenen Erfahrungen!
Die Packlisten sind erstellt und die meisten Artikel vorhanden oder eingekauft. Übermäßig viel mitzunehmen gibt es auch auf dieser Tour nicht. Etliche Trainingsfahrten mit dem Faltboot auf den
Hamburger Kanälen und der Außenalster sind absolviert. Wir sind motiviert und aufgeregt zugleich, denn wir wissen mal wieder nicht, worauf wir uns einlassen. Wir hoffen auf unvergessliche
Eindrücke, Begegnungen und vor allem auf ein gesundes Wiedersehen im September.«
Nicht umsonst sprechen die TID-Veranstalter von der härtesten Wasserwandertour. So mussten wir dann auch leider feststellen, dass wir unsere Kräfte überschätzt hatten. Hier ist nun mein Bericht
zum Abbruch der Paddelwanderung:
»Die Bedingungen haben uns überfordert. Die Hitze, kein Schutz vor der enormen Sonneneinstrahlung und die Anstrengung, die langen Strecken zu bewältigen, haben das »Aus« für unsere
Donaupaddeltour bewirkt. Blutdruck und Kreislauf ständig auf Hochtouren, das kann auf Dauer nicht gut sein, deshalb haben wir die Reißleine gezogen. Für Euch im Norden klingt das Wort »Hitze«
vielleicht etwas befremdlich, denn so richtig ist hier oben ja noch nichts angekommen. Die Länder des südöstlichen Europas, in denen es bezüglich Bruthitze zur Sache geht, stehen der TID ja noch
bevor. Nee, bei Hitze wirst’e bregenklöterig.
Wir erkannten, dass das Reisen mit festgelegten Streckenabschnitten nichts für uns ist. In Zukunft werden wir wieder weiter auf unsere Individualreisen setzen, wie bisher. Trotzdem, so ein
Abbruch tut ungemein weh, auch wenn es noch so vernünftige Gründe dafür gegeben hat. Vom Boot aus gezwungen zu sein, den Telefonanschluß 112 anzurufen ist schließlich auch kein Vergnügen.
Darüberhinaus haben wir bei der Anschaffung des Bootswagens Fehler gemacht, denn der Wagen war für unser Boot zu klein dimensioniert. Das sollte sich für uns noch schwer nachteilig
auswirken.
Von Ingolstadt bis Regensburg haben wir eine wunderbare Donaulandschaft erlebt. Die Schleuse bei Vohburg hat uns in ein um neun Meter tieferes Niveau befördert. Der Wahnsinnstouristenauftrieb im
Kloster Weltenburg hat uns etwas genervt, den Ort möchte man gerne etwas ruhiger erleben. Ansonsten die Klosterkirche ist ein wahres Prachtstück der barocken Baukunst. Weil wir noch die
schwierige Passage durch den Donaudurchbruch vor uns hatten, mussten wir uns den Genuss des köstlichen, dunkelen Klosterbiers für später aufheben. Ab Weltenburg verkehren die Touristenschiffe auf
der Donau und zusammen mit der starken Strömung bedeutet dies eine Gefahrenstelle. Die Landschaft vom kleinen Boot aus zu erleben, einfach großartig, da kommt die weiße Flotte nicht mit. In
Kelheim mündet der Main-Donau-Kanal in den Fluss und ab hier gibt es auch die Großschifffahrt. Das Tagesziel war Kelheim und hier mussten wir unser voll beladenes Boot wegen des niedrigen
Wasserstandes eine ziemlich hohe Böschung hinaufhieven. Und weiter ging es 500 bis 700 Meter landeinwärts bis zum städtischen Stadium, wo wir die Zelte aufstellten. Am Ende des Tages hat uns
diese Tortur völlig fertiggemacht und am nächsten Morgen mussten wir ja wieder retour.
Bei Bad Abbach rutschte unser Faltboot einen »Borstenpass« hinunter. Der Borstenpass dient den Fischen als Fischtreppe, die sonst während ihrer Wanderung den Höhenunterschied nicht überwinden
können. Das Wasser rauscht über die aufgestellten Bürsten und die Kanus rutschen in einer Bootsgasse ins tieferliegende Flussbett. Wir hatten zunächst noch Manschetten, kamen aber einwandfrei
unten an. Die Donau hat viele Windungen und am Horizont erkennt man den Bayerischen Wald. In Regensburg sollte es für uns dann gewesen sein. Leider!«
Inzwischen ist genügend Wasser die Donau hinuntergeflossen und wir haben uns mit dem Abbruch arrangiert. Dem Tourabbruch konnten wir mittlerweile sogar etwas Gutes abgewinnen. Denn Südeuropa
wurde in den letzten Wochen von einer extremen Hitzewelle heimgesucht. Außerdem führt die Donau nach den heftigen Unwettern einen hohen Wasserstand. Die von vorn herein festgelegten
Streckenabschnitte sind nicht unsere Welt. Sollten wir wieder auf der Donau unterwegs sein, so werden wir alles in Eigenregie machen. Das zu organisieren wird nicht leicht sein, das wissen wir.
Man kann die Strecke schaffen, wenn man besser vorbereitet ist.
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