Stoj! – Halt! Gefolgt von einem unmissverständlichen Warnschuss! Das bedeutete für meinen Vater Otto für vier lange Jahre das Ende seiner Freiheit.
Auf der Insel Rügen, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Heimatort entfernt, nahmen ihn russische Militärs in Gefangenschaft. Er erlebte teils endlose Verhöre durch die Sowjets. Man sperrte die
Kriegsgefangenen zusammengepfercht in enge Zellen. Meistens per Fußmarsch trat er den Weg in die Kriegsgefangenschaft an.
In Königsberg angekommen arbeitete mein Vater in der Schichau-Werft. Bei zweistelligen Minustemperaturen gab’s keine Wärmequellen, nicht im Lager und nicht in der Werft. Die Arbeiten waren
sinnlose Schikane. Krankheiten grassierten und sehr viele Soldaten überlebten diese Tortur nicht. Dergestalt ausgemergelt litt Otto unter Furunkulose und wahrscheinlich an TBC.
Die Lage spitzte sich zu, als der Lagerkommandant die Brotration aus dem vergammelten Getreide, welches man den Kriegsgefangenen zumutete, von 600g auf 400g senkte. Mein Vater und ein Kamerad
entschlossen sich deshalb gemeinsam zur Flucht. Die Sache ging gründlich schief. Otto hatte nichts mehr zu verlieren, deshalb offenbarte er bei den strengen Verhören die unhaltbaren Zustände im
Lager. Verursacht von der menschenverachtenden Lagerleitung.
Tagelang sperrte man die Gefangenen in einen Erdbunker. Otto weiß nur noch, es war unglaublich kalt, aber die Mitgefangenen wärmten ihn mit ihren Körpern. Anders hätte er die Haft nicht lebend
überstanden.
In diese bedrückende Zeit der Gefangenschaft fiel ein Lichtblick, denn nach dem Arrest bemerkte Otto, dass die korrupte Lagerleitung ausgetauscht war. Die Verhältnisse verbesserten sich
schlagartig. Von nun an setzte man die Kriegsgefangenen entsprechend ihrer Berufe für sinnvolle Aufgaben ein. Die Kameraden erlebten Wertschätzung ihrer Arbeit und Otto durfte eine
Kohlschneidemaschine konstruieren.
Ein Lagerarzt kümmerte sich um Kranke und um die Läusebekämpfung. Es gab zwar noch immer rationiertes Essen, aber das galt für alle, selbst für die Sowjets. Wäre es von vorn herein so
gewesen, sie hätten nicht die vielen Toten beklagen müssen.
Vom Mai 1945 bis zum März 1949 verbrachte mein Vater Otto in russischer Gefangenschaft. In den Zeiten größter Not erlebte er Kameradschaft, auch seitens der Russen.
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