Nun war es beschlossene Sache, Gerd und ich werden unseren braven BMW 600 verkaufen. Zugunsten einer Veränderung im Oldtimerbestand und im Reiseerleben. Der Oldie hat uns tierisch Spaß gemacht, tolle Reisen haben wir unternommen, alles auf eigener Achse. Deshalb fällt der Abschied wehmütig aus. Hin und wieder gingen die Überlegungen sogar dahin, ob man das Fahrzeug nicht behält und den frisch erworbenen VW-Bulli T2a mit dazu. Macht zwei Oldtimer, wollen wir wirklich die Grundlage zu einer Sammlung legen? So gerne wir es täten, das sprengt die finanziellen Möglichkeiten. Trotzdem lässt uns dieser verrückte Gedanke bis zum Schluss nicht los.
Gerd inserierte im Netz und ein Redakteur der Auto Bild Klassik meldete sich. Das sei ja ein bildschönes Fahrzeug, wunderbar geeignet für ein Fotoshooting zum Thema »Familienfahrzeuge« zum Ende
der 1950er Jahre. »Kleinstwagen der Wirtschaftswunderzeit.« Zur Erinnerung: Der BMW 600 hat ganze vier Sitzplätze. Der Redakteur erkundigte sich, ob wir Interesse hätten, daran teilzunehmen.
Welch Frage!
Der Oldie-Schnuckel hatte zwischenzeitlich seinen Käufer gefunden. Wir aber vereinbarten mit ihm, dass das Fotoshooting mit der Auto Bild Klassik die letzte Aktion für uns gemeinsam mit dem BMW
600 sei.
Pfingsten 2019! Die Eintrittskarten für das Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie werden wir nicht nutzen. Im Übrigen verbringen wir unseren 40. Hochzeitstag in der Gemeinschaft der
Oldtimerfreunde. So sind die Prioritäten gesetzt!
Hamburg hat einiges an Bilderbuchkulissen zu bieten. Den Machern der Zeitschrift schwebten die Hamburger Vier- und Marschlande vor, im Osten der Stadt. Das bäuerliche Ambiente, mit urigen,
reetgedeckten Fachwerkhäusern, Windmühlen, Sträßchen mit Kopfsteinpflaster und prachtvoll angelegten Bauerngärten, das alles spricht seine eigne Sprache. Was fehlte noch? Genau, das dazu passende
Traumwetter. Her damit! Hamburg lieferte das zauberhafteste Bildmaterial ever, mit blauen Himmel und federleichten weißen Wölkchen.
Pfingstsonnabend trafen wir im Hamburger Stadtteil Hammerbrook die anderen Teilnehmer. Es wurden insgesamt sechs Oldtimer vorgestellt: Trabant P50/1, Austin Mini MK I Cooper, BMW 600, NSU Prinz
III, Lloyd Alexander TS, NSU/Fiat Jagst. Die detailreichen technischen Daten der Fahrzeuge sind in der Auto Bild Klassik-Ausgabe 9/2019 veröffentlicht.
Ich bin hier der Knipser, so stellte sich uns der Fotograf Sven vor. Die Auto Bild Klassik-Mitarbeiter Stefan, Gerald und Henning machten derweil die ersten Fahrzeugprüfungen nach ihrer
Checkliste, wie das Gewicht ermitteln z.B., nee, vom Auto, doch nicht unseres. Einige unserer Mitstreiter kannten sich bereits von anderen Shootings, wir kamen neu hinzu.
»Sieht aus wie Urlaub, ist aber Arbeit, glaubt mir«, das versicherte uns Gerald. Am Pfingstsonntag ging es hinaus in die Vier- und Marschlande. Auf einem Supermarktparkplatz fanden die ersten
Prüfungen statt. Erstaunt nahmen wir zur Kenntnis, dass der Wendekreis eines Autos unterschiedlich groß ist, je nachdem, ob man nach rechts oder nach links wendet. Weiter maßen sie die Radstände,
die Bremsen, Fahrgeräusche und sonstige Besonderheiten der einzelnen Fahrzeuge durch.
Nach der Technik ging es ans Optische. Abwechselnd drapierte man die Autos vor den schmucken Häusern. Die Pressemitarbeiter hatten alle Hände voll zu tun. Scharenweise waren an diesem Tag die
Radausflügler unterwegs und die interessierten sich lebhaft dafür, was hier schönes fotografiert wurde. Ich habe eine tolle Rücksichtnahme bemerkt, sowohl bei der Crew als auch bei den zusehenden
Radfahrern, als es darum ging, den Fotobereich von fremden Personen freizumachen.
Wir standen die meiste Zeit in der Sonne rum, sahen zu und handelten uns einen Sonnenbrand ein. Gemütlicher wurde es im Freilichtmuseum Rieck-Haus. Hier unter den schattigen Bäumen nahen wir in
den Campingstühlchen platz und genossen die Atmosphäre.
Am Nachmittag wurde’s etwas schwierig, eine »radfahrerfreie Strecke« im weiteren Umland zu finden. Denn nun sollten Aufnahmen der fahrenden Oldtimer gemacht werden. Der Fotograf Sven zeigte
vollen Körpereinsatz, aus der geöffneten Kofferraumklappe eines vorausfahrenden Autos heraus fotografierte er den Oldtimerkonvoi.
Er erstellte auch sogenannte »Vorbeizieher«. Zwei Fahrzeuge fahren versetzt zueinander mit so kurzem Abstand, dass man schon Angst hat, aufzufahren. Bei dieser Technik verschwimmt der Hintergrund
und die Fahrzeuge selber sind scharf fotografiert. Das erzeugt den Eindruck von Geschwindigkeit.
Solch Geschoss von Kameraobjektiv habe ich noch nicht gesehen. Sven lag damit platt auf dem Boden und machte seine Aufnahmen.
Den ganzen Tag rumgestanden und geguckt und trotzdem fertig, so endete für uns der erste Tag des Fototermins.
Es stünden noch Fotoaufnahme, restliche Testfahrten, Vorbeizieher und Kurvenfotos aus, ließ uns die Crew anderentags wissen, ein halber Tag war dafür vorgesehen. Strahlend blau war gestern, an
diesem Tag dominierte das grau. Vermischt mit etwas Nass.
Die Fahrzeuge wurden nun einzeln auf der Deichkrone stehend abgelichtet. Sven lag am Deichfuß und fotografierte himmelwärts. Er sagte uns: »Von euren Fahrzeugen werdet ihr letztendlich nur die
Umrisse zu sehen bekommen, denn hier werden die Vorlagen für die Abmessungen der Autos hergestellt.«
Ein kleines Highlight am Schluss ist die »Großtankstelle Brandshof« von 1953 im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort. Die ist älter als unsere Veteranen und mag Anfang der 1950er wirklich eine
große Tankstelle gewesen sein. Heute gibt es dort (noch) kein Benzin, aber Verpflegung und verschiedene Dienstleistungen für Young- und Oldtimer.
Den restlichen Pfingstmontag erholten wir uns im nun wieder sonnigen Garten von den Strapazen, unsere Mitstreiter aus Nord- und Mitteldeutschland waren auf dem Heimweg. Unser Wohnort liegt vor
den Toren Hamburgs, somit hatten wir es nicht weit.
Hier schloss sich nun der Kreis. Am nächsten Tag lud der Käufer unseren schnuckeligen BMW 600 auf seinen Trailer. Ein paar Streicheleinheiten auf den Lack und dann fuhr er davon. Eine kleine
Melancholie bleibt zurück.
Die Auto Bild Klassik Redakteure wollten natürlich wissen, weshalb trennt man sich von so einem Schätzchen? Hätten wir auch so nicht gedacht. Aber Gerd und ich gehen auf die 70 zu und da möchte man etwas bequemer reisen. Nicht was den Fahrkomfort angeht, ich glaube, der wird beim VW-Bus nicht viel anders sein. Aber – wir hätten gern ein Campingfahrzeug. Auf der Rückbank des BMW 600 transportierten wir Zelt plus Matten und Schlafsäcke. Auf den Rundreisen waren wir gezwungen, täglich das Zelt auf- und abzubauen, teilweise auch nass. Den Luxus, einfach im Auto zu schlafen, den wollten wir uns gerne gönnen.
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