So, nun hat uns also das Corona-Virus in die Suppe gespuckt. Viele Reisen in den Osterferien sind ihm zum Opfer gefallen. Meine auch. Darüber könnte man betrübt sein oder auch wütend. Aber wem oder was nützt es? Genau – es gibt da eine andere Möglichkeit, nämlich die, in sich zu gehen. Du kannst dabei nach vorne sehen, in die Zukunft, dich in wunderbare Welten träumen. Touren angehen, die du schon längst mal gemacht haben wolltest. Zeit und Geld spielen hierbei absolut keine Rolle.
Oder du blickst zurück, lässt dich von vergangenen Zeiten einfangen. Mich hat ein Song dazu inspiriert. Vor ein paar Tagen postete ein ehemaliger Studienkollege auf Facebook das Lied: ›La pulce
d’acqua‹. Seitdem sitzt mir dieser kleine ›Wasserfloh‹ im Gehörgang. Zumal ich den Künstler Angelo Branduardi sehr mag. Er verzaubert das Publikum mit poetischen Texten und mit dem Klang seiner
Geige. Wie er da auf dem Podium steht, einfach unnachahmlich. Seine Wuschelfrisur ist inzwischen grau, von der Ausstrahlung hat er nichts eingebüßt. Ich durfte ihn etliche Male auf Hamburger
Bühnen und in der St. Petri-Kirche erleben. Überhaupt inspirierte mich die zauberhafte Musik so sehr, dass ich mich dazu entschloss, Italienisch zu lernen. Das hatte allerdings auch einen ganz
praktischen Grund, denn mein Mann Gerd und ich beabsichtigten mit unseren kleinen fünfzig Jahre alten Mopeds der Marke NSU-Quickly nach Rom zu fahren. Die Fahrzeuge hatten einen 49-ccm-Motor und
1,4 PS. Wir würden ausschließlich kleine Straßen und Wege benutzen, durch viele winzige Dörfer kommen, wo man weder englisch noch deutsch spricht. Und ich befasste mich mit der italienischen
Lebensart.
Mein Gerd hätte ja sooo gerne auch diese Sprache gelernt, aber, er musste sich um die Restaurierung der Motorini kümmern. So saß denn mein Göttergatte im Keller oder in der Garage und schraubte,
was das Zeug hergab. Ich saß derweil im stillen Kämmerchen mit einem Lernprogramm für Anfänger. Wie gerne hätte ich mich mit meinem Mann ausgetauscht. Wenigstens kam ich gut voran.
Es waren unzählige Probefahrten zu absolvieren, um die Maschinen einzufahren. Wir legten vor der Tour etwa 1.000 Kilometer zurück. Teilweise mit katastrophalen Ergebnissen. Unsere
›Generalprobefahrt‹ von Seevetal ins niedersächsische Oldenburg mit einer Entfernung von 180 Kilometern je Strecke zeugte davon. Die ungezählten Motorenprobleme machten die Fahrt zum
Hindernisparcours. Etliche Male hätte ich das Teil in die Tonne treten mögen. Benzin lief aus, der Benzinhahn war undicht, von Gerds Quickly fielen einfach Teile ab. Frust! Bei Worpswede forderte
uns ein Fahrradfahrer zu einem Rennen heraus. Der Radfahrer gewann!
In Oldenburg wartete meine Mutter mit dem Mittagessen auf uns, wir hatten inzwischen aber die Kaffeezeit schon überschritten. Gegen 21 Uhr erreichten wir total erschöpft nach zwölf Stunden
Fahrzeit unser Ziel. Immerhin benötigten wir für die Rückfahrt nur noch zehn Stunden! Die Generalprobe ging voll in die Hose, da muss man doch die Herausforderung annehmen.
Unsere Entscheidung stand! Wir fahren nach Rom. Jedenfalls versuchen wir es. Skeptiker innerhalb der Familie machten uns wenig Hoffnung darauf, auch nur unseren Landkreis verlassen zu
können.
Die einzige fest gebuchte Komponente unserer Reise war übrigens die Rückfahrt mit dem Autoreisezug vom italienischen Livorno aus nach Hamburg. 400 Euro hatte ich dafür hingeblättert. Zuversicht
muss sein!
Heute spreche ich immer von einem »Herzschlag-Abenteuer«, wenn die Rede auf diese Tour kommt. Mit dem Mut der Verzweiflung machten wir uns auf. Nein, natürlich kamen wir nicht ohne Probleme ans
Tagesziel. Wobei wir uns klugerweise keine festen Tagesetappen vorgenommen hatten. Nur so ungefähr, man weiß ja nie, was unterwegs passiert. Die Wirtsleute der ersten Unterkunft bei Hannover
waren Italiener! Gutes Zeichen fanden wir, das gab uns Auftrieb.
Ihr fragt euch vielleicht, ob wir uns unterwegs gegenseitig angezickt haben? Natürlich! Die sozialen Kontakte liefen nicht reibungslos. Wir waren doch beide voller Adrenalin. Es gab viele
Hindernisse zu überwinden, Baustellen beispielsweise, die uns vom Kurs abbrachten und wir uns heillos verfranzten. Oder schlechtes Wetter, welches uns aber nicht von der Weiterfahrt
abhielt.
Das Alpenvorland war erreicht. Wir hatten alle Zweifler eines besseren belehrt. Bis hierher erfuhren wir viel Hilfsbereitschaft und auch freundliche Aufmerksamkeit unterwegs. Etliche Leute
erzählten uns von eigenen Erfahrungen mit den Quickly-Mopeds, die in den 1950er Jahren in Westdeutschland sehr beliebt waren. An der Tankstelle am Fernpass ließen die Harley-Fahrer ihre
PS-starken Maschinen stehen, um sich mit unseren untermotorisierten Maschinchen zu befassen. Wir waren die Stars oder die Hasardeure der Alpen. Mühsam war die Strecke hinüber über den
Reschenpass. Wir waren wieder adrenalingesteuert. Von nun an würden wir notfalls unsere Quicklys auf dem Buckel nach Rom schleppen! Niemand würde uns noch aufhalten können.
Die steilen Hänge der Alpen waren speziell für Gerds Fahrzeug ein Problem. Oft musste er absteigen und sein Fahrzeug bergauf schieben. Manchmal fuhr ich dann vor, um Quartier zu machen. In Meran
stellte sich das als ernsthaftes Problem heraus. Wir hatten es einfach nicht auf dem Schirm, dieser Tag ist im Norden kein Thema. Denn der 15. August, Maria Himmelfahrt, ist in Italien ein
Feiertag. Viele Italiener nutzen den für ein verlängertes Wochenende, dort wo es schön ist, wie Meran beispielsweise. Ein Hotelier war mir bei der Quartiersuche sehr erfolgreich behilflich. Er
sagte mir: »Sie können vermutlich gar nicht ermessen, wie viel Glück Sie haben, dass ein Gast abgesagt hatte.« Vom Hotel erhielten wir auch wertvolle Tipps für die Weiterfahrt nach Bozen. Wir
kurvten auf einem Radwanderweg durch die herrliche Alpenlandschaft nach Trento. Dort mussten wir erstmals auch durch Tunnel fahren, vor denen habe ich großen Respekt. Entlang am Gardasee
erreichten wir Verona.
Der Opernbesuch in der Arena war eine festeingeplante Größe. Da wir keine Ahnung hatten, ob oder wann wir diese Stadt erreichen würden, konnten wir nichts vorausbuchen. Am Ankunftstag in Verona
hatte ich meinen 56. Geburtstag, den haben wir mit einem Essen gefeiert. Am Tage darauf gab es in der Arena Verdis ›Tosca‹. Gerd und ich erinnern uns noch mit Gänsehaut an das Opernerlebnis in
Verona. Das italienische Publikum ist so viel emotionaler und fordernder, die Sänger wiederholten ihre Arien, tosender Applaus.
Weiter ging es, wir brausten über die Po-Ebene nach Ravenna. Auch so ein Ort, den ich schon sehr lange im Visier hatte. Geschichte und byzantinische Kunst sind hier vereint. Der legendäre
Theoderich hat hier sein Grabmal, genauso wie der Dichter Dante Alighieri und die Herrscherin Galla Placidia. Herrliche Mosaike schmücken Kirchen und Mausoleen. Ravenna, eine Stadt, die mich
restlos begeisterte.
Wir überquerten die eigenwillige Landschaft des Appennin, hatten es mit paradiesischen Landschaftsbildern zu tun. Fuhren über Berg und Tal, durch Wälder und alte Städte und Gemäuer. Wir waren
mehr und mehr hingerissen und unser Ziel war der Geburtsort des Franziskus von Assisi, der in der Stadt als Giovanni di Pietro di Bernardone zur Welt kam. Hier kommt Angelo Branduardi wieder ins
Spiel, denn der Künstler hat die Lebensgeschichte des Heiligen in Liedern vertont, auf dem Album L’infinitamente piccolo (Das unendlich Kleine) veröffentlicht. Die Lebensgeschichte des hl.
Franz von Assisi hat mich sehr beeindruckt und beschäftigt. Wie die Predigt von der vollkommenen Freude und die Begegnung mit dem ägyptischen Sultan. Franziskus von Assisi war auch als
mittelalterlicher Santiagopilger unterwegs. Branduardi hatte entlang der italienischen Jakobswege seine Konzerte zur Biographie des Heiligen gegeben. Gerd und ich werden in den kommenden Jahren
auf den Pfaden des Apostel Jakobus wandern, das ist aber ein anderes Thema.
Am Lago di Bracciano in der Nähe Roms ereilte uns ein schweres Unwetter. Als wir nach Rom hineinfuhren, sägte man just die umgestürzten Bäume in den überfluteten Straßen auseinander.
Rom – wir hatten die Stadt unserer Träume erreicht. Kneif mich doch mal, ob das auch wahr ist. Vier Tage konnten wir uns gönnen, um die Sehenswürdigkeiten Roms zu besichtigen. Wer hätte ein paar
Wochen zuvor daran gedacht, dass wir auf der Spanischen Treppe sitzen würden. Alles, was wir auf dieser Tour erlebten, habe ich in dem Buch »Abenteuer Quickly« verarbeitet.
Dann mussten wir Abschied nehmen, denn für die Rückkehr nach Hamburg fuhren wir wieder nach Norden in die Toscana. Einen Tag am Strand durften wir uns dort gönnen. Nebenbei bemerkt, es war der
einzige Tag am Strand auf der gesamten Tour.
Wir haben es tatsächlich geschafft. Trotz aller Widrigkeiten zu Hause und unterwegs. Ich ging für die Rückfahrt im Zug einkaufen. Der Rückreisetag war Gerds Geburtstag. Ich brauchte Käse,
Schinken, Brot und Wein. Von der Verkäuferin wurde ich sehr für mein Italienisch gelobt. Schade, genauso schnell, wie ich diese Sprache lernte, so schnell versandeten meine Kenntnisse in der
Folgezeit. Leider!
Vom 5. August beim Start im heimatlichen Meckelfeld bis zum 3. September 2006 in Hamburg-Altona gehörte unser Jahresurlaub der Quickly. Wir werden noch lange in Erinnerungen schwelgen und fünf
Jahre nach dieser Reise sattelten wir die Fahrzeuge erneut. Das Ziel lang diesmal im Norden. Das norwegische Oslo sollte es sein.
Wer hätte das jemals gedacht, ja, solche Auswirkungen haben die Lieder, die man in Zeiten wie diese hört. Wo grenzenlose Mobilität nicht angezeigt ist. Ich wünsche Euch, dass Ihr diese Phase
gesund übersteht und lasst Euch nicht unterkriegen. Inspiriert Euch mit Musik, Filmen und Büchern. Sofern die Familie bei Dir ist, suche mal wieder die gute alte Spielesammlung raus.
Viele liebe Grüße von den Moped-Reisenden Reingard und Gerd
Die kleinen Mopeds lösen immer noch etwas Wehmut bei uns aus. Wir besitzen längst andere Oldtimer, aber unsere erst Blech-Liebe, die ist die Stärkste.
Zeitweilig hatten wir sechs bis sieben motorisierte Zweiräder in unserer Garage stehen. Zwei NSU-Quicklys, zwei NSU-Lambrettas, das sind 125 ccm Motorroller der Neckarsulmer Firma und zwei
nigelnagelneue 125er Honda Motorroller. Darüber hinaus beherbergten wir einen Wintergast, das Motorrad unseres Schwiegersohnes.
Kommentar schreiben