Früher, das klingt jetzt schon mal ziemlich antiquiert, früher wurden viele Dinge noch selber gemacht. Ich erinnere mich, dass so um die Weihnachtszeit herum meine Puppen verschwanden. Neu eingekleidet präsentierten die sich später unter dem Tannenbaum. Meine Mutter Christine nähte für uns Kinder die Klamotten und mein Vater baute Eisenbahnen und Lkws für meine Brüder. Vor allem baute er für uns eine Wechselsprechanlage mit Empfängern und Mikrofonen. Die technische Spielerei hat uns und den Nachbarskindern verdammt viel Spaß gemacht.
Im Jahr 1961 zogen wir wieder einmal um. Diesmal von Brake an der Unterweser nach Oldenburg. Ein großzügiger Neubau im dritten Stock eines Blocks erwartete uns. Dort gab’s ein sehr modernes Heizsystem, denn statt in jedem Zimmer einzeln einen Ofen zu betreiben, beheizte man hier via Warmluft vom Wohnungsflur aus mit zwei Heizquellen die Räume. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele ›Schütten‹ Kocks, Eierkohle oder wie viele Briketts ich jemals aus dem Keller in den dritten Stock geschleppt habe.
Meine Mutter heizte an einem trüben Novembertag die Öfen an. Es war wieder so eine komische drückende Wetterlage, denn die Öfen zogen nicht richtig.
Lassen wir mal meine Mutter zu Wort kommen: »Der Ofen wollte und wollte nicht brennen. So viel ich auch herumstocherte. Ich wurde ungeduldig und wütend. Und – ich war total überhitzt, was man von der Heizung nicht sagen konnte. Total sauer pfefferte ich nach erfolglosen Versuchen schließlich Bohnerwachs ins Feuer. Verdammt noch mal, das musste doch klappen.
›Wumms‹ – eine Stichflamme schoss aus dem Feuerloch! Die Lohe ging über meine ausgebreitete Hände, die ich vors Gesicht schlug. Versengte mir die Augenbrauen und die Haare.«
Meine Mutter hatte noch verdammt viel Glück im Unglück, denn die Stichflamme verbrannte ihre Hände und kaum das Gesicht. Inzwischen war es dunkel geworden, dringend musste sich ein Arzt um die Wunden kümmern. Ein Auto, ein Telefon besaßen wir zu jener Zeit noch lange nicht, auch eine Telefonzelle gab es nicht in Wohnortnähe. Kennt Ihr noch die gelben Telefonhäuschen der Deutschen Bundespost? Die Nutzer wurden darauf hingewiesen, sich ›Kurz zu fassen‹. Damit meinte man, die Quasselstrippen zu stoppen, damit evtl. Wartende ihre Telefonate führen konnten. Keine Möglichkeit, den Arzt zu rufen, folglich fuhren meine Eltern mit dem Fahrrad in die Nacht hinein, von der Wohnung zum Krankenhaus. Christine erzählt, dass ihr der kalte Fahrtwind auf dem Fahrrad gut tat, denn der kühlte die Verbrennungen.
Die großflächigen Brandwunden schmerzten, beide Hände wurden verbunden, dicke Brandblasen hatten sich gebildet. So konnte sie weder ihre Hausarbeit machen, noch die angefangenen Näharbeiten fertig stellen. Im Nähkorb lagen die gerade zugeschnittenen Kindermäntel für den Winter. Es war zum Verzweifeln, denn Geld und Zeit waren knapp und Weihnachten stand vor der Türe.
»Es war eine Scheißlage«, das sagt Christine selber über die Situation der Familie.
Da kam der ›Geldbriefträger‹ gerade recht. Ihr habt richtig gehört, ein spezieller Postbote stellte meinem Vater Otto seinen Lottogewinn zu! Ein ›Fünfer‹ im Lotto, was für 'n Glück! Den man justament so gut gebrauchen konnte, der rettete das Weihnachtsfest 1961. Ein ganz kleiner Wermutstropfen fiel jedoch ins Glas, denn diese Ausschüttung im November war nicht so hoch bemessen, wie sonst üblich. Ein magerer Gewinn, wie Christine es ausdrückte. Aber immerhin, es gab um die 2.200 DM. So überraschend, so ein Brustlöser!
Die Eltern kampierten, seit wir DDR-Flüchtlinge in Bayern eine eigene Wohnung bezogen, auf einer Klappcouch im Wohnzimmer. Was bedeutete, dass sie jeden Abend ihre Betten bauen mussten. Dieses Schlafsofa war eigentlich nicht für den Dauergebrauch konzipiert und entsprechend schmal bemessen. Eine Schlafzimmereinrichtung war deshalb für sie ein Traum. Für Möbel Schulden machen stand nicht zur Debatte, deshalb sparten die Eltern jeden Monat das Kindergeld zu diesem Zweck.
Christine erzählt weiter: »Wir gingen sofort auf Einkaufstour. Für euch Kinder kauften wir Rollschuhe, für die Küche einen elektrischen Heißwasserboiler und – endlich – das lang ersehnte Schlafzimmer.
Otto kannte einen Händler, der uns in Sachen Einrichtung beriet. Wir waren als ehemalige DDR-Bürger noch immer nicht mit den westdeutschen Gepflogenheiten vertraut. Nach heutigen Maßstäben würden wir in ein Einrichtungshaus gehen und die Möbel bestellen. Sei’s drum, der Handelsvertreter schickte uns ins Möbelhaus und wir suchten eine Schlafzimmereinrichtung aus. So haben wir ihm vermutlich eine satte Provision von dem Oldenburger Möbelhändler in der Nähe des Schlosses verschafft. Doch was soll ich sagen, 60 Jahre später habe ich genau diese Möbel immer noch.«
Die Eltern wählten ein klassisches Schlafzimmer, wie es seinerzeit Mode war. Helles Holz, auf Hochglanz poliert, ein fünftüriger Kleiderschrank, zwei Nachtkästchen, ein Doppelbett und eine Frisierkommode mit einem dreiteiligen Spiegel. Das höchste der Gefühle. In vielen westdeutschen Schlafzimmern dieser Zeit komplettierte eine Teppichumrandung U-förmig das Ehebett. Und eine bunte Dralon-Tagesbettdecke war der Traum der Hausfrau. Für meine Mutter blieb es auch dabei.
Späterhin wurden die Teppichböden üblich, von Wand zu Wand verlegt und es ging für die Familie wirtschaftlich voran.
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