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Erinnerung an eine zerstörte Liebe

In vielen bäuerlichen Gesellschaften ist es üblich, dass sich beizeiten um den Hoferben gekümmert wird. Hauptsächlich, um damit den Fortbestand der Landwirtschaft zu sichern. Wobei nicht außer acht gelassen wird, dass es zu möglichst vorteilhaften Verbindungen kommen sollte. Es ist also sowas wie eine Wette auf die Zukunft. Meine Mutter Christine erzählt aus ihrer sudetendeutschen Heimat bei Leitmeritz so eine selbst erlebte Geschichte aus der Zeit des zweiten Weltkriegs:

Meine Eltern betrieben Landwirtschaft. In unserer Gegend baute man Hopfen von hoher Qualität an. Solange ich denken kann, spielte ich auf dem Bauernhof unserer direkten Nachbarn. Half späterhin auch in der Küche und erledigte kleiner Aufträge, wie man das so macht, wenn man sich gut kennt. Der Nachbarssohn Fred war sieben Jahre älter als ich. Um ihn ging es, denn die Nachbarsleute wollten die Hofnachfolge regeln. Und sich eine gute Schwiegertochter sichern, der man auch die Leitung eines Bauernhofes anvertrauen konnte. Die arbeitsam war und was vom Fach verstand. Ich war zwar noch ein Kind, aber wo meine Interessen lagen, war damals schon deutlich erkennbar.

Ich dürfte so um die zehn Jahre alt gewesen sein, als meine Eltern Adele und Wenzel mit der Familie von Fred eine Vereinbarung trafen. Der wesentlich ältere Fred sollte eines Tages mein Ehemann werden. Ich glaube, es war ein Sonntag und Fred und ich waren anwesend. Ich wurde sogar gefragt, ob ich was dagegen hätte. Nein, ich war nicht abgeneigt, denn ich mochte ihn. Sehr sogar. 

Als ich vierzehn Jahre alt war, wiederholte man diese Abfrage an Fred und mich und wieder bestätigten wir beide das Abkommen.  Fred war sieben Jahre älter und zu jener Zeit bereits Soldat. Und kein Kind von Traurigkeit. Der ließ nichts anbrennen, das konnte selbst ich erkennen. Nichtsdestotrotz, ich mochte ihn. Wenn er auf Urlaub zu Hause war, holte ich ihm und seinen Kameraden das Bier aus der Kneipe. 

Fred machte mit mir kleine Ausflüge in die Umgebung. Ich schmierte Stullen für die Wegverpflegung. Wir wollten ein paar Kilometer zur Ruine der Helfenburg wandern. Ich erinnere noch genau, wie Mutter am Hoftor stand und Fred mit auf den Weg gab: ›du weißt, dass sie erst 14 Jahre alt ist‹. Und Fred verstand sofort, er antwortete ihr: ›ich vergreife mich doch nicht an kleinen Mädchen‹.

Der Soldat Fred wurde seit 1944 in Russland vermisst. Wir waren verzweifelt, was war ihm widerfahren? Wir alle hofften auf seine Wiederkehr. Dann kam das Kriegsende. Für uns Sudetendeutschen bedeutete es die Vertreibung aus der geliebten Heimat. Für unser Dorf Gießdorf gab es zwei Ausweisungstermine. Die Familie von Fred gehörte zur ersten Vertreibungswelle. Ich sehe vor meinem geistigen Auge immer noch den Nachbarn weinend auf dem Brunnenrand sitzen. Man ließ ihnen nur wenig Zeit, ihre Sachen zu packen. ›Wenn Fred zurückkommt, erzählt ihm, was uns geschehen ist‹, bat er mich.

Mutter, Großmutter, Schwester und ich mussten unser Haus verlassen. Wir bestellten zwar unser eigenes Land, wurden zur Arbeit verpflichtet, wohnten in einer heruntergekommenen Bleibe zusammen mit unendlich vielen Mäusen. Dieses Gebäude wurde früher zur Aufbewahrung von Getreide genutzt. 

Tschechische Leute zogen in unsere Häuser ein. In unser Bauernhaus kam eine Familie aus Böhmen, die hatten ein Fuhrwerk mit Holz mitgebracht. Obendrauf saßen die Hühner. Von Landwirtschaft verstanden die rein gar nichts. 

Eines Tages sah ich, wie die Tschechen, die in Freds Haus wohnten, die Haustüre abschlossen und weggingen. Na, wie ich in dieses Haus reinkomme, auch wenn die Türe abgeschlossen ist, das wusste ich. Vor dem Ofen in der Stube lag ein Haufen Fotos, die offenbar verbrannt werden sollten. Ich suchte für die Familie die wichtigen Erinnerungen heraus und verschwand damit.

Im Herbst 1946, nachdem die Ernte eingebracht war, vertrieb man auch uns. 

Von Fred haben wir nie wieder etwas gehört. Die geretteten Fotos konnte ich später nach Kiel zu seinen Eltern schicken. 

 

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