Mein Pilger A B C

A – wie Amor (die Nordroute an der Biscaya; alles freiwillig)

Am Anfang steht die Liebe; hier ist ein Buchauszug: Im Baskenland lernten wir Anfang September einen jungen Dänen kennen, der ein sehr anspruchsvolles Ziel hatte. Er wollte die 860 Kilometer nach Santiago bis Ende September erreicht haben. Nun, wir fanden, er hatte sich sehr viel vorgenommen, diese Strecke innerhalb von drei bis vier Wochen zu bewältigen, unmöglich ist es nicht für einen so jungen, sportlichen Kerl, er muss nur eine durchschnittliche Tagesleistung von 35 Kilometern wandern. (Hier im spanischen Baskenland ist die Landschaft von grandioser Schönheit und fordert von Wanderern hohe sportliche Kondition.) Viel sehen und erleben wird er nicht bei dieser Streckenvorgabe und was unser junger Pilger bei seiner ehrgeizigen Planung nicht berücksichtigt hatte, war die holde Weiblichkeit! In seinem Fall in Gestalt einer jungen attraktiven Kalifornierin! Und seine Angebetete hatte die Ruhe weg! Wir trafen die beiden vor Markina-Xemein bei einer Pause in den Bergen, er scharrte schon unruhig mit den Füssen, denn er wollte weiter, sie unterhielt sich angeregt mit uns und verspeiste noch in aller Ruhe ein Bocadillo (das ist ein Weißbrot mit Belag). Unseren kanadischen Wegbegleitern Jill und Kit waren diese dänisch-amerikanischen Annäherungsversuche auch nicht verborgen geblieben und so schlossen wir schon Wetten darüber ab, wer gewinnt, die Hormone oder der sportliche Ehrgeiz. Eigentlich ist die ganze Sache doch sonnenklar, selbstverständlich gewannen die Hormone! In der Herberge von Santander trafen wir unseren jungen Dänen wieder, er hatte seine Ankunft in Santiago um ein Jahr verschoben!

 

B – wie bekloppt (der Camino Francés; Jakobspilger querfeldein)

Nicht immer sind Entscheidungen, die spontan getroffen wurden, eine wirklich gute Idee. Mein Ehemann Gerd und ich starteten unsere allererste Pilgerwanderung in dem französischen Pyrenäenort »St.-Jean-Pied-de-Port«. Unsere Fitness trainierten wir seinerzeit ausschließlich in der Norddeutschen Tiefebene. Es regnete, die Wege waren glitschig von Kuhfladen und Schafschei... Ja, wir sind im Hochgebirge, wir die Flachlandtiroler. Und wir müssen über den Pyrenäenkamm nach Roncesvalles in Spanien. Nach rund sieben Kilometern lud uns eine Pilgerherberge zur Rast ein. Dichter Nebel zog auf, dass sich dort ein Marienheiligtum befindet, konnten wir nicht erkennen. Null Sicht!

Buchauszug: Und die Landschaft? Wie wir sehen, sehen wir nichts! Es verschwindet alles im Nebel und wir gucken nur in das wabernde Weiß. Kurz hinter der Herberge lesen wir noch ein Schild, auf dem in sechs Sprachen davor gewarnt wird, bei schlechtem Wetter den Weg beim Steinkreuz zu gehen. Gerd sagt: „Für Hamburger gibt es kein schlechtes Wetter.“ So’n Schiet ook, was mit dem schlechten Wetter auf dem Schild gemeint ist, wir sollten es noch erfahren. Je höher wir kommen, desto dichter wird der Nebel. Gerd schätzt so auf 30 Meter Sicht. Dass da Schafe, Pferde und Kühe auf den Weiden sein müssen, können wir nur an den Geräuschen erkennen. Und die Geräusche werden durch den Nebel gedämpft. Und tief unter uns, da rauscht ein Bach. Wir möchten uns gar nicht vorstellen, wie tief da unten. Und trockene Stellen gibt es weit und breit keine, es hat sich so richtig herrlich eingeregnet. Solchen Dauerregen kennen wir schließlich zur Genüge von unserer flachen norddeutschen Heimat her. Den Proviant müssen wir im Stehen verzehren und die Rucksäcke können wir nicht vom Rücken nehmen, weil überall Matsch und triefende Nässe ist. ...

In einigen Wanderführern habe ich etwas von tiefgründigen Wegen gelesen. Dass damit nicht etwa die Gedanken gemeint sind, sondern der Untergrund, sollen wir jetzt erfahren. Der Pfad wird immer federiger und schließlich zu einer einzigartigen schwarzen Pampe, in der wir bis zu den Knöcheln versacken. Irgendwohin ausweichen, das ist nicht möglich. Zur linken Seite ragt der Fels auf, zur rechten wird der Abgrund durch einen Stacheldrahtzaun begrenzt und dazwischen befindet sich der Pilgerpfad, der sich im Laufe der Zeit von sehr vielen Pilgerfüßen und Fahrradreifen in ein einziges Matschloch verwandelt hat. Und so waten und staken wir dann dort durch, immer darauf bedacht, dass uns kein Wasser in die Schuhe läuft. Die Sicht bleibt grottenschlecht und die Rolandsquelle bemerken wir eigentlich nur dadurch, dass wir sozusagen unmittelbar an ihr vorüber stolpern. Hier reinigen wir unsere Schuhe, weil wir glauben, das war’s mit dem Schlamm. Weit gefehlt, es ändert sich nur die Farbe, von schwarzer Pampe zur rotbraunen Pampe.

...

Aber, und das ist für mich besonders wichtig, dies ist historischer Schlamm. Wir befinden uns jetzt auf dem Gebiet, von dem das Rolandslied sagt: „Hoch sind die Berge und die Täler finster, die Felsen düster, die engen Wege bedrohlich.“ Hier fand im August 778 das große Gemetzel, angeblich durch die Sarazenen, statt, wurde die gesamte Nachhut Karls des Großen, angeführt von seinem Neffen Roland, hingeschlachtet. „Roland, mein Gefährte, so blast doch den Olifant. Karl wird es hören und das Heer umkehren lassen. Der König wird uns mit seiner ganzen Ritterschaft zu Hilfe kommen.“

 

C – wie Camino (Jakobspilger querfeldein)

Übersetzt ist es schlichtweg: Weg! Aber was für einer. Die Pilgerschar meint natürlich den Camino de Santiago. Über ganz Europa erstrecken sich, wie ein Spinnennetz die historischen Pilgerwege. Wirklich religiöse Bedeutung hat das Ende des Pfades: Santiago de Compostela.

Hier der Buchauszug:

Um das Apostelgrab in Santiago de Compostela ranken sich sehr viele Legenden und historisch belegt ist eigentlich nur, dass der Apostel Jakobus in Palästina den Märtyrertod gestorben ist. Auch über das Todesjahr gibt es keine gesicherten Daten, in der Literatur nimmt man das Jahr 44 n. Chr. an. Die Legende erzählt, dass der tote Jakobus von seinen Gefährten Athanasius und Theodorus in ein Boot gelegt wurde, welches von Engeln geleitet, in sieben Tagen bis nach Galicien segelte. Er wurde in der Gegend des heutigen Santiago beigesetzt und sein Grab und die Gräber seiner Gefährten gerieten für Jahrhunderte in Vergessenheit. 800 Jahre später nahm ein Einsiedler Lichtzeichen über dem Grab wahr und informierte den Bischof Theodemir von Iria Flavia. Dieser ließ das Grab öffnen und identifizierte die aufgefundenen Gebeine als die des Apostels Jakobus. Ob der Jünger Jesu jemals in Spanien missioniert hatte, ist gleichfalls historisch nicht belegt. Um einen bestimmten Ort aufzuwerten, wurde schon in alten Zeiten mit vielen Tricks gearbeitet. Um Santiago de Compostela als Bischofssitz zu legitimieren, kam diese Apostellegende gerade recht. Martin Luther zum Beispiel hatte erhebliche Zweifel an der Echtheit der Reliquien. Dieses wieder gefundene Apostel-Grab wurde neben Rom und Jerusalem zum wichtigen Pilgerziel. Auch für politische Zwecke wurde der Apostel Jakobus eingesetzt. So soll er in der Schlacht bei Clavijo (Rioja) im Jahr 844 höchst persönlich, hoch zu Ross, für die Sache der Christen gegen die Mauren gefochten haben.