S – wie Sidra (alles freiwillig)
Wir durchstreiften den ganzen Tag lang diese herrliche Küstenregion mit sandigen Buchten und steilen Klippen. Hier in Asturien sieht man entlang des Weges immer wieder die quadratischen Speicherhäuschen auf Stelzen. Was heutzutage in diesen Maisspeichern aufbewahrt wird, dass konnten wir so ohne weiteres nicht feststellen. Der luftige Platz unter diesen Hórreos wurde häufig als Parkplatz für Autos und Motorräder, zum trockenen Aufbewahren von Brennholz oder zum Abstellen von Gerümpel genutzt. Das bekannteste Produkt dieser Region wird ohnehin nicht in Speichern gelagert, sondern in Fässern.
Jetzt im Herbst breiteten sich besonders in den Morgen- und Abendstunden Nebelbänke in den Tälern aus. Und der Dunstschleier, der über der Küste lag, der verzog sich den ganzen Tag über nicht mehr. Wir waren nun zur Erntezeit in Nordspanien angekommen. Und Asturien ist besonders für den Apfelanbau bekannt. Die Apfelbäume hingen voller Früchte, es war eine reine Wonne, die Früchte in der Sonne leuchten zu sehen. Im feuchten Meeresklima konnten sie in guter Qualität heranreifen. Ähnlich gute Reifebedingungen haben die Äpfel, die südlich von Hamburg in der Elbmarsch, Europas großem Obstanbaugebiet, im „Alten Land“ wachsen. Insofern gibt es durchaus Parallelen. Wenn man es einmal bedenkt, Ende April gingen wir in Hamburg los, es war die Zeit der Obstbaumblüte. Und nun zur Zeit der Reife marschieren wir durch Asturien und hier werden die Äpfel dann doch etwas anders vermarktet als in Deutschland. Denn Asturien ist über seine Grenzen hinaus berühmt für sein Nationalgetränk, den hier produzierten Apfelwein, den Sidra! In der Norddeutschen Tiefebene hat Apfelwein keine Tradition, das ändert sich, je weiter man in Deutschland südwärts kommt. Der hessische Raum ist bekannt für den „Äppelwoi“.
Schon die Kelten berauschten sich am Apfelwein. Dieses Getränk steht somit in einer großen antiken europäischen Tradition. Die Herstellungsmethodik war damals vermutlich noch nicht so „ausgereift“ wie heute, denn die Asturier „komponieren“ ihren Sidra aus den unterschiedlichen Apfelsorten von süß und mild bis sauer und bitter. Der Gärprozess erfolgt in Fässern aus Kastanienholz. Bis ein Alkoholgehalt von fünf Prozent erreicht ist, vergeht meistens der Winter und dann wird abgefüllt und vor allem in froher Runde probiert, schließlich will man wissen, ob das Getränk gelungen ist. Sidra ist nicht lange haltbar und sollte „jung“ getrunken werden, ähnlich wie der baskische Txakoli. Im Baskenland hat Sidra übrigens auch eine Tradition, aber in Asturien wurde die perfektioniert.
Die Asturier zelebrieren das Einschenken ihres Sidra in einem besonderen Ritual! Der Grund dafür ist, Sidra entwickelt durch die Reaktion mit Sauerstoff sein spritziges Aroma. Es gibt hier Wettbewerbe, in denen sich die „Escanciadores“ gegenseitig in der hohen Kunst des Einschenkens zu übertrumpfen suchen. Und eine hohe Fertigkeit ist es zweifellos, die Flasche mit dem ausgestreckten Arm hoch über dem Kopf zu halten und das Glas in der anderen Hand möglichst weit unten zu halten. Die Geschicklichkeit besteht darin, den oberen Glasrand mit dem Sidrastrahl aus der Flasche zu treffen. Das scheint nicht immer unfallfrei zu klappen. Eine unendliche Pantscherei! Der ganze Fußboden in den Siderías klebt oder schwimmt, je nachdem wie geschickt der Escanciador zu Werke geht. In den Siderías stehen häufig auch Bottiche, in die der Bodensatz des Getränks geschüttet werden kann, auf den Fußboden schütten geht allerdings auch in Ordnung, dafür befindet sich Sägemehl auf dem Boden. Sidratrinken ist ein sehr rustikales Vergnügen. Bei Tisch wird dem Gast immer nur ein Schluck ins Glas eingeschenkt, der sogleich getrunken werden sollte. Die bodenständige asturische Küche passt gut dazu. Außerdem wird der Sidra häufig in den Kochrezepten zur Zubereitung von deftigen Fleisch- und Wurstgerichten verwendet.
T – wie Txakoli (alles freiwillig)
Als Gegenpol zu leiden könnte man genießen setzen. Von dem Genuss, diese Landschaft zu erleben mal abgesehen, in diesem Baskenland wird ein besonderer Wein angebaut, ein Weißwein, der Txakoli genannt wird. Die Weinberge reichen heran bis an die Küste der Biscaya. Boden und Klima sind für den Wachstumsprozess des Weines wichtige Voraussetzungen, vielleicht macht deshalb die Nähe zum Meer diesen Wein so besonders. Ein leichter trockener Weißwein, spritzig, hoher Säuregehalt und leicht moussierend, so wird dieser Wein beschrieben. Produziert wird dieser Wein aus weißen Trauben der Sorte Hondarribi zuri. Es gibt den Txakoli auch aus dunklen Trauben der Sorte Hondarribi beltza. Dieser Wein wird jung und kühl getrunken. Ehrlich gesagt, von Txakoli hatte ich vor unserer Wanderung noch nie etwas gehört, allein nach dem Namen zu urteilen hätte ich es möglicherweise eher für eine Zaubermixtur gehalten. Ein kleines wichtiges Anbaugebiet befindet sich hier im Umkreis von Getaria, weitere Anbaugebiete gibt es bei Bilbao. Wir hatten uns zunächst ein wenig darüber gewundert, dass man uns am Abend in den Restaurants diesen Wein nicht sonderlich bereitwillig servieren wollte. Zunächst glaubten wir, es läge daran, dass dieser Wein recht teuer ist und deshalb grundsätzlich nicht zum Pilgermenü gereicht wird. Wir waren ja dazu bereit, diesen Wein separat zu bezahlen, der tatsächliche Grund liegt wohl darin, dass dieser Wein überwiegend als Aperitif getrunken wird. Das sind so die kleinen Verwirrungen, zu denen es immer mal wieder kommt und die das Reisen so spannend machen.
Unseren spanischen Weinhändler in Hamburg haben wir inzwischen soweit, dass er Txakoli in sein Sortiment aufgenommen hat. Mir schmeckt diese belebend leichte Frische und wir freuen uns über diesen besonderen Genuss und über die Gedanken, die dann ein bisschen an der Biscaya spazieren gehen. Wie der Händler inzwischen feststellte, es interessieren sich durchaus auch andere Kunden für dieses Produkt, auch wenn es ein teures Vergnügen ist. Nicht alle Erzeugnisse lassen sich so einfach zu Hause besorgen wie gerade dieser Wein. Während unseres Streifzuges durch Europa stießen wir auf viele Geschäfte, die Kunsthandwerk und Produkte der Landschaften anboten. Sehr gerne hätten wir das eine oder andere gekauft, aber, wer soll es tragen und was wollen wir unterwegs damit?? Auf diese Weise blieben viele Artikel und Köstlichkeiten unprobiert, leider, leider!! Aber weiter geht’s!
U – wie Ultreia (alles freiwillig)
ULTREIA ET SUSEIA, DEUS, ADJUVA NOS !
Zu Ultreia, „vorwärts“, diesem uralten Pilgergruß gibt es in Frankreich ein Lied. Ultreia, Ultreia et suseia, Deus, adjuva nos, dieses Lied haben wir in Frankreich, auf der Via Podiensis oft gesungen. Dieses Lied erinnert mich immer an unsere Wanderung auf der Via Podiensis, als wir in Lectoure in der Gascogne bei dem charismatischen Abbé Pierre zu Gast waren. Der alte Abbé ließ nach der Messe Lieder- und Gebetstexte an die anwesenden Pilger verteilen und so sangen wir im Pfarrhaus dann am Abendbrottisch gemeinsam „Ultreia“! Vorwärts, das ist die Bewegung des Pilgers auf seinem Weg. Vorwärts zum Ziel und himmelwärts die Gedanken. Ein Lied, das motiviert, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und deutlich macht, wer der Unterstützer dieser Pilgerfahrt ist. „Mit Gottes Hilfe“ geht es nun schon seit tausend Jahren durch Europa, auf dem Sternenweg des Charlemagne, dem Sternenweg Karls des Großen, mit dem Ziel Compostelle, am Ende der Welt, wo der lächelnde Herr Jakobus die Pilger erwartet.
Ein ehrenamtlicher Pilgerbetreuer der Kathedrale von Santiago berichtete uns von der historischen Pilgerbetreuung der Versorgung mit Lebensmitteln und mit Kleidung, denn die historischen Pilger mussten auf einem ähnlich beschwerlichen Weg zurück nach Hause, wie sie gekommen waren. Keine Seele ginge auf dem Weg nach Santiago verloren, denn der unterwegs verstorbenen Pilger wurde in der Kathedrale gedacht.
Und ein Legende gab es für uns Pilger außerdem: Der Apostel Santiago hatte in Hispanien wenig erfolgreich missioniert. Als er sich im Jahr 40 n. Chr. am Ufer des Flusses Ebro seinen trüben Gedanken hin gab, erschien ihm auf einer Säule Maria, die damals noch lebende Mutter Jesu. Die Jungfrau tröstete ihn damit, dass nach seinem Tod die Missionierungen sehr zahlreich sein werden. Der Apostel veranlasste den Bau einer Kapelle bei Saragossa und kehrte nach Palästina zurück, wo er wenige Jahre später den Säuberungsaktionen des Herodes Agrippa I. zum Opfer fiel. An der Stelle in Saragossa, an der die Jungfrau auf der Säule (Pilar) erschien, wurde später die Basílika del Pilar errichtet, ein Wahrzeichen der Stadt. Und wie unser Pilgerbegleiter erwähnte, wenn man sich den Erfolg der Missionierungen vergegenwärtigen will, so bräuchte man sich nur die heutigen Pilgerstatistiken anzusehen. Dieses Engagement der deutschsprachigen Seelsorge kann man gar nicht hoch genug einschätzen, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es einen hohen Bedarf gibt und es ist gut, dass niemand in einer emotional aufgeladenen Situation alleine gelassen wird.